Geheime US-Militärpläne für Libyen
Washington diskutiert heftig über Hilfe für die Aufständischen - bis hin zum Einsatz von Spezialeinheiten
Mit jedem Massaker durch libysche Soldaten und Söldner wächst der politische Druck auf US-Präsident Barack Obama
Eine Elitetruppe soll die Kampfstärke unerfahrener Rebellen über Nacht verbessern können, durch Waffen und Know-how
Washington
Mit jedem Tag und jeder widersprüchlichen Meldung über eroberte oder gefallene Städte in Libyen wächst der Druck auf die amerikanische Regierung, militärisch zugunsten der Aufständischen einzugreifen. Prominente US-Politiker beider Parteien, darunter die früheren Präsidentschaftskandidaten John Kerry und John McCain, sprachen sich am Wochenende für die Einrichtung einer Flugverbotszone durch Nato-Verbände aus. William Daley, der Stabschef im Weißen Haus, wehrte sich, mutmaßlich auch im Namen von Präsident Barack Obama, gegen eine Verharmlosung der Konsequenzen einer solchen Intervention: "Eine Menge Leute werfen mit Begriffen wie Flugverbotszone um sich, sie reden, als sei das nur ein Video-Spiel."
Hohe Regierungsbeamte verweisen darauf, dass es keine internationale Autorisierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für ein militärisches Eingreifen gebe. China und Russland, so wird vermutet, würden sich sperren. Zum anderen fürchte man, durch eine Intervention in einem muslimischen Land in "alte Fallen" zu geraten. Konkret haben die USA bisher 30 Milliarden Dollar libysche Guthaben gesperrt und Reiseverbote gegen Muammar al-Gaddafi und seine Familie verhängt. Präsident Obama hat verlangt, dass Gaddafi seine Macht aufgibt. Doch noch gilt als Regierungsposition, was Verteidigungsminister Robert Gates Anfang März vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses sagte: dass eine Flugverbotszone mit Angriffen auf Libyen beginne, um die Luftabwehrsysteme auszuschalten. Um ein Flugverbot über einem so großen Gebiet wie Libyen durchzusetzen, so Gates, seien weit mehr Kampfflugzeuge erforderlich, als ein einziger Flugzeugträger transportieren könne.
Wenn es nach den verzweifelten Hilfeersuchen der Aufständischen ginge, würden die USA nicht nur den Luftraum über Libyen kontrollieren, sondern Gaddafis (Söldner-)Truppen und Arsenale bombardieren. Daran ist in Washington nicht zu denken, solange nicht unwiderlegbare Beweise für einen versuchten Völkermord durch den Diktator vorliegen. Selbst dann wären bei Bombardements Zivilisten schwer gefährdet. Auch die Senatoren John Kerry und John McCain, die sich für ein begrenztes Eingreifen aussprechen, wollen keinen dritten Landkrieg der USA in einem muslimischen Land riskieren. Kerry sieht eine Flugverbotszone als kurzfristige Aktion und verlangt, dass "andere Nationen und die Nato nicht an der Seitenauslinie zuschauen". Auf Stützpunkten in Italien, Spanien und in anderen alliierten Ländern seien genügend Kampfflugzeuge stationiert.
Hunderte Kampfjets wären zur Kontrolle des Luftraums, wie seinerzeit über Saddam Husseins Irak erfolgreich praktiziert, allerdings nötig. Hinzu käme eine Infrastruktur aus Tankern, um die Jets in der Luft zu halten, und Einsatzteams, um abgeschossene oder abgestürzte Besatzungen zu retten. In der Tat begänne die Einrichtung der Flugverbotszone durch Raketenangriffe, wahrscheinlich von US-Kriegsschiffen oder U-Booten, auf Radareinrichtungen und Luftabwehrsysteme. Bei dem US-Luftangriff 1986 auf Libyen wurde ein US-Jet durch die Luftabwehr sowjetischer Bauart abgeschossen.
Zu den Optionen, die Präsident Obama und sein Sicherheitsteam prüfen, zählen vermutlich auch die Bewaffnung der Aufständischen sowie das Einschleusen von US-Spezialeinheiten. Sie sind trainiert, Rebellen zu führen und in kürzester Zeit auszubilden. Solche Einheiten, kaum ein Dutzend Mann stark, wurden in Afghanistan eingesetzt, um die Koalition gegen die Taliban zu stärken. Waffen und andere Nachschubgüter über den von den Aufständischen gehaltenen Gebieten abzuwerfen wäre eine relativ risikoarme Möglichkeit.
In diese Richtung argumentierte am Sonntag Stephen Hadley, der frühere Sicherheitsberater von George W. Bush. Es wäre hilfreich, meinte Hadley, wenn die USA die Rebellen mit Waffen und direkt mit Flugabwehrgeschützen ausrüsten könnten, "sodass sie selbst die Flugverbotszone überwachen". Waffen in die Hände der Rebellen zu geben würde voraussetzen, dass die USA genauer wüssten, wer die Rebellen sind und welche Ziele sie über den Sturz des Regimes hinaus verfolgen. Mitch McConnell, der Fraktionschef der Republikaner im Senat, ist durchaus dafür, die Aufständischen auch mit Waffen zu unterstützen ("aiding and arming the insurgents"), doch zuvor müssten die USA klären, "mit wem wir es hier zu tun haben". Anders als bei dem Aufstand in Ägypten, als US-Militärs offenbar erheblichen Einfluss auf Freunde und Kollegen im ägyptischen Generalstab ausübten, ist der Einfluss der USA auf Eliten in Libyen gering.
Die Mittel für einen ersten amerikanischen Militärschlag, wenn er denn befohlen würde, sind bekannt. Zwei amphibische, landungsfähige Kriegsschiffe, die "USS Ponce" und die "USS Kearsarge", kreuzen mit 400 Marineinfanteristen der 26. Expeditionseinheit vor der libyschen Küste. Sie haben Kampfhubschrauber, Harrier-Senkrechtstarter und Schwenkrotor-Flugzeuge vom Typ Osprey an Bord, um ohne Landebahnen Einsätze zu fliegen und Truppen an Land abzusetzen. Die Einheiten haben sich bei humanitären Einsätzen nach den Naturkatastrophen in Haiti, Pakistan und Indonesien bewährt.
Dass eine solche "Kanonenboot-Diplomatie", das bloße Zeigen der Werkzeuge, Gaddafi beeindruckt oder einschüchtert, wird in Washington bezweifelt. Die Planspiele im Pentagon setzen, so heißt es, sämtlich voraus, dass der Diktator ein Flugverbot aggressiv unterlaufen würde. Ein Beschuss alliierter Flugzeuge würde wiederum Schläge gegen Gaddafi provozieren. Mit dem hohen Risiko, Zivilisten zu treffen und islamistischen Extremisten, bisher unter den Verlierern des Freiheitsaufstands im Nahen Osten, Propagandaerfolge zu verschaffen.
Das Zögern Präsident Obamas mag von seinen politischen Gegnern im Inland wie von seinen Feinden als Schwäche ausgelegt werden. So extrem unterscheidet sich seine Haltung von dem "Bring them on"-Machismo George W. Bushs. "Es gibt eine große Versuchung, aufzustehen und zu verkünden: 'Wir werden euch helfen, den Diktator loszuwerden'", lässt sich ein hoher Regierungsbeamter anonym in der "New York Times" zitieren. "Aber der Präsident hat klargestellt, dass das, was zurzeit über die Region zieht, von dort kommt. Sobald wir militärisch eingreifen, riskieren wir, in die alte Falle zu gehen - nämlich dass die Amerikaner das alles für ihren eigenen Vorteil ausnutzen."
Die Drohungen der Nato werden unterdessen schärfer. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte in Brüssel, die internationale Gemeinschaft werde Gaddafis gewaltsamem Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung nicht tatenlos zusehen. "Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen", sagte Rasmussen. Die Allianz sei "für jede Eventualität" bereit, falls der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen verhänge. "Aber das derzeit geltende UN-Mandat für Libyen autorisiert uns dazu nicht." Ohne den Auftrag der Vereinten Nationen werde die Nato nicht aktiv, betonte Rasmussen mehrfach.
Gaddafis Vorgehen gegen sein eigenes Volk sei "ungeheuerlich". Wenn die systematischen Angriffe weitergingen, könnten diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewertet werden, sagte Rasmussen weiter. Gleichzeitig wies der Däne auf das Dilemma der Staatengemeinschaft hin: Trotz des verbrecherischen Vorgehens Gaddafis müsse der Westen "die Sensibilitäten in der Region beachten". Eine Intervention der Nato könne dort "als Einmischung ausländischer Kräfte empfunden werden". Am Donnerstag und Freitag beraten die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel über ein mögliches Eingreifen der Nato in Libyen.
Eine Elitetruppe soll die Kampfstärke unerfahrener Rebellen über Nacht verbessern können, durch Waffen und Know-how
Washington
Mit jedem Tag und jeder widersprüchlichen Meldung über eroberte oder gefallene Städte in Libyen wächst der Druck auf die amerikanische Regierung, militärisch zugunsten der Aufständischen einzugreifen. Prominente US-Politiker beider Parteien, darunter die früheren Präsidentschaftskandidaten John Kerry und John McCain, sprachen sich am Wochenende für die Einrichtung einer Flugverbotszone durch Nato-Verbände aus. William Daley, der Stabschef im Weißen Haus, wehrte sich, mutmaßlich auch im Namen von Präsident Barack Obama, gegen eine Verharmlosung der Konsequenzen einer solchen Intervention: "Eine Menge Leute werfen mit Begriffen wie Flugverbotszone um sich, sie reden, als sei das nur ein Video-Spiel."
Hohe Regierungsbeamte verweisen darauf, dass es keine internationale Autorisierung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für ein militärisches Eingreifen gebe. China und Russland, so wird vermutet, würden sich sperren. Zum anderen fürchte man, durch eine Intervention in einem muslimischen Land in "alte Fallen" zu geraten. Konkret haben die USA bisher 30 Milliarden Dollar libysche Guthaben gesperrt und Reiseverbote gegen Muammar al-Gaddafi und seine Familie verhängt. Präsident Obama hat verlangt, dass Gaddafi seine Macht aufgibt. Doch noch gilt als Regierungsposition, was Verteidigungsminister Robert Gates Anfang März vor dem Haushaltsausschuss des Repräsentantenhauses sagte: dass eine Flugverbotszone mit Angriffen auf Libyen beginne, um die Luftabwehrsysteme auszuschalten. Um ein Flugverbot über einem so großen Gebiet wie Libyen durchzusetzen, so Gates, seien weit mehr Kampfflugzeuge erforderlich, als ein einziger Flugzeugträger transportieren könne.
Wenn es nach den verzweifelten Hilfeersuchen der Aufständischen ginge, würden die USA nicht nur den Luftraum über Libyen kontrollieren, sondern Gaddafis (Söldner-)Truppen und Arsenale bombardieren. Daran ist in Washington nicht zu denken, solange nicht unwiderlegbare Beweise für einen versuchten Völkermord durch den Diktator vorliegen. Selbst dann wären bei Bombardements Zivilisten schwer gefährdet. Auch die Senatoren John Kerry und John McCain, die sich für ein begrenztes Eingreifen aussprechen, wollen keinen dritten Landkrieg der USA in einem muslimischen Land riskieren. Kerry sieht eine Flugverbotszone als kurzfristige Aktion und verlangt, dass "andere Nationen und die Nato nicht an der Seitenauslinie zuschauen". Auf Stützpunkten in Italien, Spanien und in anderen alliierten Ländern seien genügend Kampfflugzeuge stationiert.
Hunderte Kampfjets wären zur Kontrolle des Luftraums, wie seinerzeit über Saddam Husseins Irak erfolgreich praktiziert, allerdings nötig. Hinzu käme eine Infrastruktur aus Tankern, um die Jets in der Luft zu halten, und Einsatzteams, um abgeschossene oder abgestürzte Besatzungen zu retten. In der Tat begänne die Einrichtung der Flugverbotszone durch Raketenangriffe, wahrscheinlich von US-Kriegsschiffen oder U-Booten, auf Radareinrichtungen und Luftabwehrsysteme. Bei dem US-Luftangriff 1986 auf Libyen wurde ein US-Jet durch die Luftabwehr sowjetischer Bauart abgeschossen.
Zu den Optionen, die Präsident Obama und sein Sicherheitsteam prüfen, zählen vermutlich auch die Bewaffnung der Aufständischen sowie das Einschleusen von US-Spezialeinheiten. Sie sind trainiert, Rebellen zu führen und in kürzester Zeit auszubilden. Solche Einheiten, kaum ein Dutzend Mann stark, wurden in Afghanistan eingesetzt, um die Koalition gegen die Taliban zu stärken. Waffen und andere Nachschubgüter über den von den Aufständischen gehaltenen Gebieten abzuwerfen wäre eine relativ risikoarme Möglichkeit.
In diese Richtung argumentierte am Sonntag Stephen Hadley, der frühere Sicherheitsberater von George W. Bush. Es wäre hilfreich, meinte Hadley, wenn die USA die Rebellen mit Waffen und direkt mit Flugabwehrgeschützen ausrüsten könnten, "sodass sie selbst die Flugverbotszone überwachen". Waffen in die Hände der Rebellen zu geben würde voraussetzen, dass die USA genauer wüssten, wer die Rebellen sind und welche Ziele sie über den Sturz des Regimes hinaus verfolgen. Mitch McConnell, der Fraktionschef der Republikaner im Senat, ist durchaus dafür, die Aufständischen auch mit Waffen zu unterstützen ("aiding and arming the insurgents"), doch zuvor müssten die USA klären, "mit wem wir es hier zu tun haben". Anders als bei dem Aufstand in Ägypten, als US-Militärs offenbar erheblichen Einfluss auf Freunde und Kollegen im ägyptischen Generalstab ausübten, ist der Einfluss der USA auf Eliten in Libyen gering.
Die Mittel für einen ersten amerikanischen Militärschlag, wenn er denn befohlen würde, sind bekannt. Zwei amphibische, landungsfähige Kriegsschiffe, die "USS Ponce" und die "USS Kearsarge", kreuzen mit 400 Marineinfanteristen der 26. Expeditionseinheit vor der libyschen Küste. Sie haben Kampfhubschrauber, Harrier-Senkrechtstarter und Schwenkrotor-Flugzeuge vom Typ Osprey an Bord, um ohne Landebahnen Einsätze zu fliegen und Truppen an Land abzusetzen. Die Einheiten haben sich bei humanitären Einsätzen nach den Naturkatastrophen in Haiti, Pakistan und Indonesien bewährt.
Dass eine solche "Kanonenboot-Diplomatie", das bloße Zeigen der Werkzeuge, Gaddafi beeindruckt oder einschüchtert, wird in Washington bezweifelt. Die Planspiele im Pentagon setzen, so heißt es, sämtlich voraus, dass der Diktator ein Flugverbot aggressiv unterlaufen würde. Ein Beschuss alliierter Flugzeuge würde wiederum Schläge gegen Gaddafi provozieren. Mit dem hohen Risiko, Zivilisten zu treffen und islamistischen Extremisten, bisher unter den Verlierern des Freiheitsaufstands im Nahen Osten, Propagandaerfolge zu verschaffen.
Das Zögern Präsident Obamas mag von seinen politischen Gegnern im Inland wie von seinen Feinden als Schwäche ausgelegt werden. So extrem unterscheidet sich seine Haltung von dem "Bring them on"-Machismo George W. Bushs. "Es gibt eine große Versuchung, aufzustehen und zu verkünden: 'Wir werden euch helfen, den Diktator loszuwerden'", lässt sich ein hoher Regierungsbeamter anonym in der "New York Times" zitieren. "Aber der Präsident hat klargestellt, dass das, was zurzeit über die Region zieht, von dort kommt. Sobald wir militärisch eingreifen, riskieren wir, in die alte Falle zu gehen - nämlich dass die Amerikaner das alles für ihren eigenen Vorteil ausnutzen."
Die Drohungen der Nato werden unterdessen schärfer. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte in Brüssel, die internationale Gemeinschaft werde Gaddafis gewaltsamem Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung nicht tatenlos zusehen. "Wenn Gaddafi und seine Militärs weiterhin die libysche Bevölkerung systematisch angreifen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen tatenlos dabei zuschauen", sagte Rasmussen. Die Allianz sei "für jede Eventualität" bereit, falls der UN-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen verhänge. "Aber das derzeit geltende UN-Mandat für Libyen autorisiert uns dazu nicht." Ohne den Auftrag der Vereinten Nationen werde die Nato nicht aktiv, betonte Rasmussen mehrfach.
Gaddafis Vorgehen gegen sein eigenes Volk sei "ungeheuerlich". Wenn die systematischen Angriffe weitergingen, könnten diese als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bewertet werden, sagte Rasmussen weiter. Gleichzeitig wies der Däne auf das Dilemma der Staatengemeinschaft hin: Trotz des verbrecherischen Vorgehens Gaddafis müsse der Westen "die Sensibilitäten in der Region beachten". Eine Intervention der Nato könne dort "als Einmischung ausländischer Kräfte empfunden werden". Am Donnerstag und Freitag beraten die Nato-Verteidigungsminister in Brüssel über ein mögliches Eingreifen der Nato in Libyen.
Комментариев нет:
Отправить комментарий